Monate: April 2016

Wissenschaftliche Objektivität und menschliche Realität — 02.2005

Gerhard Stamer in philosophie.de

Das Zeitgeschehen überrollt geschichtlich erarbeite Fragestellungen und Problemstel- lungen. Im Rückblick auf das 20. Jahrhundert kann man den Eindruck gewinnen, als wenn die politischen Katastrophen und die technischen Erneurungen Turbulenzen er- zeugten hätten, die die Menschheit nicht haben zur Besinnung kommen lassen. Die im- mer neue Gegenwart hat mit ihren wechselnden Konstellationen die Menschen in Atem gehalten. Immer neue Theoriekonstrukte haben einander abgelöst. Oft ist dabei der Fa- den zum Alten gerissen; oft zum Schaden des Neuen, das die Komplexität des Alten nicht halten konnte; oft zum Schaden des Alten, das nicht mehr rekonstruiert und ver- standen werden konnte. Eine Situation ergibt sich, in der alles gesagt werden kann, was einem einfällt: Sinnloses steht neben Sinnvollem mit gleicher Berechtigung. Alles sind Erzählungen, mehr oder minder wahr.

Ein Beispiel. Ludwig Wittgenstein und Edmund Husserl kommen aus verschiedenen Theoriezusammenhängen zu einem ähnlichen Ergebnis mit fundamentaler Plausibilität, aber der Lauf der Zeit geht darüber hinweg, so wie über die Jahreszeiten, die sich einander ablösen.

Wittgenstein kommt in seinem Tractatus logico-philosophicus, 1918 geschrieben, zu folgendem Resümee: „Wir fühlen, daß, selbst wenn alle möglichen wissenschaftlichen Fragen beantwortet sind, unsere Lebensprobleme noch gar nicht berührt sind.“ Für die Philosophie zieht er daraus eine radikale Konsequenz: „Die richtige Methode der Phi- losophie wäre eigentlich die: nichts zu sagen, als was sich sagen lässt, also Sätze der Naturwissenschaft – also etwas, was mit Philosophie nichts zu tun hat –,…“ Der Philo- sophie verbliebe allein eine Kontrollaufgabe: „Die Philosophie begrenzt das bestreitbare Gebiet der Naturwissenschaft. Sie soll des Denkbare abgrenzen und damit das Undenk- bare.“ Das Undenkbare und Unsagbare ist aber für Wittgenstein nicht gleich nichts, denn: „Es gibt allerdings Unaussprechliches. Dies zeigt sich, es ist das Mystische.“ Die Philosophie ist in dieser Bestimmung negiert: als Mystik hat sie die Sprache verloren, denn das Mystische zeigt sich nur, als pure Kontollinstanz hat sie kein eigenes Gebiet mehr.

Was für Wittgenstein ein Resultat ist, gilt Husserl als Ausgangspunkt für die Be- gründung seiner transzendentalen Phänomenologie, aus der er in den 30er Jahren eine umfassende Kritik der modernen Gesellschaft ableitet. Er scheidet zunächst wie Witt- genstein Wissenschaft und menschliche Lebenswelt. Während Wittgenstein aber in sei- nem Traktat auf die „logische Klärung der Gedanken“ aus ist und die systematische, logische Fundierung der Wissenschaft intendiert, was zur Eliminierung der menschlichen Lebenswelt aus der Wissenschaft führt, sieht Husserl in genau diesem Anspruch der Wis- senschaft sowohl eine Naivität, als auch eine gefährliche Überfremdung der menschlichen Lebenswelt. Naiv sei die Wissenschaft, weil sie verwurzelt ist in der vorwissenschaftlichen Lebenswelt, aus der entspringt. „Das Wissen von der objektiv-wissenschaftlichen Welt gründet in der Evidenz der Lebenswelt.“ Gefährlich sei sie, weil sie der ursprünglichen vorwissenschaftlichen Lebenswelt die Wahrheitsfähigkeit abspricht, wie es Wittgensteins Satz ausdrückt, daß wir unsere Lebensprobleme nicht einmal berührt hätten, auch wenn alle wissenschaftlichen Fragen beantwortet wären.
Wittgenstein negiert am Maßstab wissenschaftlicher Logik die menschliche Lebenswelt

als wahrheitsfähig, Husserl hingegen negiert am Maßstab der ursprünglichen Evidenz der Lebenswelt die Wissenschaft. Beide haben in einem fundamentalen Sinne Recht. Wissenschaft und menschliche Lebenswelt fallen auseinander. Die Wissenschaft scheitert an der menschlichen Lebenswelt, die menschliche Lebenswelt findet in der Wissenschaft keinen Ausdruck ihrer selbst. Das sollte nun länger kein Tabu sein!

Wo aber führt es hin, wenn diese Identität aufgegeben wird? Bei Wittgenstein, der die Wissenschaft als das Primäre setzt, zum Schweigen in der Mystik und zur Auflösung der Philosophie. Bei Husserl, der die Lebenswelt als das Primäre setzt, nicht zur Negation der Wissenschaft als Wissenschaft, sondern zu der Anstrengung, eine Rationalität der vorwissenschaftlichen Lebenswelt zu begründen. Im Blick auf die europäische Geschichte spricht er (1935) von einem Versagen einer rationalen Kultur. „Der Grund des Versagens einer rationalen Kultur liegt aber – … – nicht im Wesen des Rationalismus selbst, sondern allein in seiner V e r ä u ß e r l i c h u n g, in seiner Versponnenheit in ’Naturalismus’ und ’Objektivismus’.“

Wenn die Forderung nach einer Rationalität berechtigt und vernünftig ist, die eine unserer Lebenswirklichkeit ist, d.h. in der wir zu einem Verständnis unserer selbst ge- langen können, und wenn diese Bemühung nicht in eine Soziologisierung der Philosophie führen soll – wie bei Habermas –: wie sähe das Projekt aus?


Gerhard Stamer auf philosophie.de

Philosophie der Präsenz — 01.2005

Gerhard Stamer in philosophie.de

Seit gut zwei Jahrhunderten versuchen sich wissenschaftliche Disziplinen von der Phi- losophie zu emanzipieren. Es ist wie bei den Kindern: der Bogen wird dabei immer überspannt. Keine dieser Disziplinen hat es versäumt, mit der Attitüde des nun endlich stattfindenden Durchbruchs zur ungeschminkten Wahrheit das traditionelle Gedanken- gut als antiquiert und nun glücklicherweise überwunden zu schmähen und mit Hohn her- abzusetzen. In immer neuen Varianten wird in bilderstürmerischem Eifer der Versuch unternommen, gerade das, was offensichtlich das Besondere des Menschen ausmacht, ihm abzusprechen, nämlich seine mit Bewusstsein verbundene Fähigkeit, zu denken und sich in Freiheit selbst zu bestimmen. Alle diese Richtungen sind sich darin einig, den Idealismus überwunden zu haben, der in dieser Selbsterkenntnis des Menschen besteht, die seit Parmenides und Heraklit die Philosophie in Gang gebracht hat. Ob es am An- fang der Gesellschaftswissenschaft bei Karl Marx heißt, dass das Sein das Bewusstsein bestimme, ob es im Zuge der Etablierung der modernen psychologischen Therapiekul- tur bei Sigmund Freud unter Hinweis auf das Unbewusste heißt, der Mensch sei nicht einmal Herr im eigenen Hause, ob seit Wittgenstein ein Paradigmenwechsel von der Bewusstseins- zur Sprachphilosophie vollzogen sei; und ob jetzt von der Hirnforschung das bewusste Sein des Menschen und die Freiheit als Schein entlarvt sei: immer scheint es sich in einem Gestus radikaler Aufklärung um eine Überwindung der Selbsttäuschung des Menschen zu handeln, der sich aufgrund seiner Denkfähigkeit eine – wie auch immer näher zu erklärende – Möglichkeit der Selbstbestimmung als fundamentale Daseinsform zuspricht.

Eine gewisse Selbstverständlichkeit hat sich im Zeitgeist aufgrund dieser breiten und mit vielen theoretischen Hervorbringungen ausgestatteten Front niedergeschlagen, im bewussten Sein des Menschen etwas Sekundäres zu sehen, etwas, das mit der traditio- nellen Überhöhung des Menschen in religiösen Selbstdeutungen zusammenhängt. Mag es in früheren Zeiten eine grandiose Überhöhung des Menschen in Vorstellungen der Gotte- sebenbildlichkeit gegeben haben, gegenwärtig scheint der größte Triumph menschlicher Erkenntnis darin zu bestehen, den Menschen mit irgendwelchen Kleintieren gleichzu- setzen, denn so verschieden seien deren Gene nicht von denen der Menschen. Frühere Zeiten mochten den Menschen die Krone der Schöpfung auf den Kopf gepresst haben, ob sie passte oder nicht, heute scheint es darum zu gehen, dem Menschen nicht nur die Krone vom Kopf zu reißen, sondern diesen selbst, d.h. die Fähigkeit des Denkens zur Selbstbestimmung unter bestehenden Bedingungen.

Die Philosophen haben ihren Teil dazu beigetragen, bis in die neueste Zeit hinein. Ad- orno setzt alles daran, „mit der Kraft des Subjekts den Trug konstitutiver Subjektivität zu durchbrechen“, Heidegger übergibt die Freiheit des Menschen an die Übermächtigkeit des Seinsgeschicks, das sich vollzieht. Noch bei Habermas ist diese Tendenz zu spüren. Nur nicht in den Verdacht des Idealismus geraten! So versichert auch er in seinem Vor- trag anlässlich der Verleihung des Kyoto-Preises im November 2004, in dem er gegen die reduktionistischen Deutungen der Hirnforschung Einspruch erhebt, daß das Ich „sozial konstruiert“ sei. Soziale Konstruktion des Ich ist eine geschickte Umschreibung für die Negation der Selbstbestimmung des Ich. Sie bedeutet, daß die Gesellschaft durch Sozialisation die Menschen zu dem bestimmt, was sie sind. Eine reflektive Vernunft, die Distanz zu den Bedingungen ihrer eigenen Existenz und denen der bestehenden Lebens- welt herstellen kann, ist nur unter Anerkennung der Bewußtseinsphilosophie denkbar, die Habermas aber für das Paradigma einer pragmatischen Sprachphilosophie längst aufgegeben hat.

Kein Wunder, wenn nun die Hirnforschung ein freies Feld vorfindet, um in den Deu- tungen ihrer prätentiösesten Vertreter zum Gegenschlag gegen die Aufklärung, aber auch gegen die theologischen Auffassungen der Freiheit des Menschen und seiner Sonderstel- lung in der uns bekannten Welt auszuholen. „Keiner kann anders, als er ist. Verschaltun- gen legen uns fest: Wir sollten aufhören, von Freiheit zu reden.“ Das ist die Überschrift eines Artikels von Wolf Singer, dem Dirktor am Max-Planck-Instituts für Hirnforschung in der Frankfurter Allgemeinen. Das von den Gedanken Wolf Singers inspirierte hochge- sponserte Kulturprojekt „Frankfurter Positionen“ auf dem dieser auch den Eröffnungs- vortrag 2003 hielt, lautete konsequent: „Warum nicht würfeln?“ Nicht die Bewältigung der komplexen Wirklichkeit mit Vernunft ist also der Weisheit letzter Schluss, sondern das Chaos – den Zufall – zur eigenen Methode zu machen. Unverkennbar handelt es sich um den wissenschaftlich getarnten Zynismus dessen, der nicht durchblickt und klüglich den Verzicht auf den Durchblick zur überlegenen rationalen Einstellung stilisiert. Dieser Fatalismus der Vernunft in der Epoche globalisierter Zusammenhänge – man mag dar- über denken, was man will, warum er denn auch in der Homepage von Angela Merkel verbreitet wird – ist im Kern das Eingeständnis und die Rechtfertigung der Konzeptlo- sigkeit angesichts der Gegenwart – und in Folge dessen die Preisgabe des konstruktiven politischen Gestaltungswillens, dem das Bild einer humanen Zukunft zugrunde liegt.

Dieser Selbstaufgabe der Vernunft ist die Philosophie der Präsenz entgegen zu setzen. Mag in früheren Zeiten eine idealistische Metaphysik die Substanz der Realität in das Jenseits verlegt haben, so wird in der heutigen materialistischen Metaphysik die Substanz in das Jenseits der biophysischen Vorgänge des Gehirns verlegt. Metaphysik ist beides, denn die Realität des Menschen, der Ort seines Daseins, ist sein bewusstes Erleben. In seinem bewussten Erleben gibt es Argumente und treten Fakten auf, die auf die Existenz Gottes schließen lassen oder auf die Basisfunktion des Gehirns für alle mentalen Vorgänge. Ohne bewusstes Erleben gäbe es keine Frage nach dem Verhältnis des Gehirns zum Bewusstsein, gäbe es keine Hirnforschung. Ohne zu wissen, was Bewusstsein ist, würden wir gar nicht wissen, was wir im Gehirn suchen sollten. Die Realität des Menschen besteht dort, wo er anwesend ist. In seinem bewussten Erleben ist der Mensch da. Diese Präsenz ist seine Realität. Das bewusste Erleben ist das Ursprüngliche der menschlichen Seinsform. Es kommt darauf an, es zu begreifen. Es auf anderes zurückführen zu wollen, ist der Verzicht darauf, es zu begreifen. Es als Schein zu erklären, bedeutet im Kern die Negation seiner wesenhaften Existenzform: das menschliche Sein sei eben nur ein Schein. Und es ist die Absage daran, mit Bewusstsein in den Lauf der Geschichte eingreifen zu können. Ein Hohn auf alle humanen Bemühungen. Es ist die Selbstpreisgabe im Zeitalter der Globalisierung.
Es wäre der bare Unsinn, dass der Mensch gerade zu dem historischen Zeitpunkt, in dem sich das Netz der menschlichen Produktivität – eine Leistung seiner Erkenntniskräf- te – um den ganzen Planeten zieht, sich selbst als ohnmächtig und verantwortungslos interpretieren möchte.

Gerhard Stamer auf philosophie.de

Metaphysik und Existenz

Beitrag zum Katalog der Ausstellung Social Dogma. Ein Filmprojekt von Thomas Henke mit Studierenden der FH Bielefeld. Studiengalerie: 14.07. – 26.09. 2010.
Dr. Gerhard Stamer

“Nur ein Schilfrohr, das zerbrechlichste der Welt, ist der Mensch, aber ein Schilfrohr, das denkt. Nicht ist es nötig, daß sich das All wappne, um ihn zu vernichten: ein Windhauch, ein Wassertropfen reichen hin, um ihn zu töten. Aber, wenn das All ihn vernichten würde, so wäre der Mensch doch edler als das, was ihn zerstört, denn er weiß, daß er stirbt, und er kennt die Übermacht des Weltalls über ihn; das Weltall aber weiß nichts davon.” (Blaise Pascal, Persées)

Was wäre, wenn die Menschen plötzlich die Physik vergessen hätten? Wir können uns das gar nicht ausmalen. Die gesamte technische Welt, die auf der Physik beruht, würde zusammenstürzen. Wir wüßten nichts mehr mit ihr anzufangen. Könnte es sein, daß die Folgen nicht geringer wären, wenn wie es heute der Fall ist, wir die Metaphysik vergessen hätten, wenn wir kein Verständnis mehr für sie aufbrächten? Es ließe sich natürlich darüber debattieren, wie das hat passieren können. Aber wer den Verlust nicht verspürt, wird keinen Anlaß haben, ihn zu beklagen. Wer ihn jedoch spürt, wird nicht nur dazu in der Lage sein müssen, zu sagen, was Metaphysik sei. Es wird nicht reichen zu wissen, was Metaphysik sei. Es ist nötig zu wissen, was heute den Zugang zu ihr verwehrt und über welchen Weg das Verständnis für sie wieder zu erlangen sei.

Unbestreitbar ist der Ausgangspunkt aller Betrachtungen, die wir über das Leben der Menschen anstellen, die Existenz einzelner Menschen, so banal es sich anhört. Die Einzelheit ist die Grundform der Existenz. Als Einzelne kommen wir auf die Welt. Jeder muß sein Leben führen, keiner das eines anderen. Das Gleiche gilt vom Tod. Jeder stirbt seinen Tod, keiner den eines anderen. Alle Gemeinschaft – auch die der gemeinsamen Sprache – hebt diese Einzelheit nicht auf. Jeder bleibt auch in der Gemeinschaft ein Einzelner. Das Allgemeine ist nichts von den einzelnen Individuen Getrenntes, sondern das, was ihnen allen gemeinsam ist. Der Gesichtspunkt der Einzelheit ist radikal. Wenn meine Einzelheit liquidiert wird, bin ich selbst liquidiert. Keine Vervielfältigung durch das Klonen beispielsweise hebt die Einzelheit auf. Jeder führt ein einmaliges Leben. Keiner kann zur gleichen Zeit an der Stelle eines andern sein. Ein fallender Stein trifft nur ein Exemplar zweier völlig gleicher Individuen. Kein Schicksal ist identisch mit dem eines anderen. Einzelheit bedeutet Einzigartigkeit.
Das wird nun aber zumeist nicht so empfunden. Die Dimensionen, die heute unsere Lebenswelt bestimmen, lassen das Verständnis für die Einzelheit nicht aufkommen. Das betrifft die Naturwissenschaft wie die Technik und die Ökonomie. Auch wenn es in der Medizin oder der Justiz nicht ohne die Einzelfallbehandlung geht, es kann keine Naturwissenschaft der Einzelfälle geben. Die Methode der Naturwissenschaft besteht darin, allgemeine Gesetze zu ermitteln. Welcher Stein im einzelnen fällt, interessiert die Naturwissenschaft nicht, ihr Interesse als einer Theorie ist auf das Gesetz gerichtet, nach dem er fällt. In der Gleichgültigkeit der Objektivität stellen sich keine metaphysischen Fragen. In naturwissenschaftlicher Einstellung bin ich prinzipiell nur ein Objekt, von denen es viele gibt. Es muß verwaltet, ausgebildet, mit Arbeit versehen werden usw.
Das betrifft auch die Technik. Die technische Umsetzung der naturwissenschaftlichen Gesetze ist – bis auf Ausnahmen – ebenfalls auf die Produktion von Serien gerichtet, nicht auf die Herstellung von Unikaten. Würde jedes Auto eine singuläre technische Form besitzen, so daß die Anwendung für jedes Auto verschieden wäre, gäbe es keine Fahrschulen; für jedes einzelne Auto müßte eine eigene Bedienung erlernt werden. Jede Brücke, die errichtet wird, hätte ganz spezifische Konstruktionsbedingungen, die nur für sie relevant wären. Ein Lernen, d.h. der Erwerb allgemeiner Kenntnisse, die beim Bau jeder Brücke Anwendung fänden, nur spezifiziert werden müßten, gäbe es nicht. Lernen wäre in der Konsequenz ausgeschlossen.

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Daß schließlich das Geld wie die Naturwissenschaft und die Technik Ausdruck eines allgemeinen Tauschwerts ist, in dem der Gebrauchswert erloschen ist zeigt, daß auch im Ökonomischen das Abstrakte, das Allgemeine herrscht.

Naturwissenschaft, Technik und Ökonomie, diese drei Dimensionen, die die moderne Gesellschaft entscheidend bestimmen, bringen also den Vorrang des Allgemeinen gegenüber dem Einzelnen mit sich. Das geschieht unbemerkt und zwangsläufig, bedarf keiner besonderen Entscheidung. Es ist daher kein Wunder, wenn in der Konsequenz diese Blickrichtung auch auf die Menschen selbst angewendet wird, wenn wir uns selbst unter diesen Gesichtspunkten betrachten, deuten und schließlich behandeln. Die einzigartigen Menschenwesen werden auf Quantitäten reduziert wie beliebige Materialien, die verwertet werden: Sie sind Kostenfaktoren im Sozialwesen, Stimmen in Wahlen und Todesfälle in Kriegen.

Solange Menschen sich in der Weise betrachten, verstehen sie weder sich selbst, geschweige denn die Metaphysik. Der Mensch, nicht als allgemeiner, sondern als einzelner muß in den Blick rücken, wenn er seine eigene Lebensform und Wirklichkeit begreifen will. Zumeist unter Zwängen und Gewohnheiten haben wir uns den allgemeinen Lebenbedingungen angepaßt. Nur in Grenzsituationen wie Trennungen, dem Tod nahestehender Menschen, dem Scheitern von Lebensplänen oder schweren Krankheiten steht das Leben als das Ganze der Existenz uns vor Augen. Wir vollziehen es dann nicht nur, sondern erschauen es als das gegebene Sein, erfahren es als persönliche Frage, welche Antwort wir – d.h. jeder einzelne – darauf geben soll. Das Leben ist nichts Vorgeformtes, daß es nur wie auf einer schiefen Ebene herunter zu rollen gilt. Wir stehen ständig in Situationen, in denen wir entscheiden müssen, wie es weitergeht.

Aber das Leben vollzieht sich nicht in Grenzsituationen. Oft öffnen uns sogar Grenzsituationen nicht die Augen. Oft lassen wir auch die Härte des Lebens nicht an uns heran, wir verhalten uns zu uns selbst wie zu einem Allgemeinen, einem Exemplar seiner Art. Man ist nur einer von einer riesigen Menge. Man begreift sich nur quantitativ, d.h. gar nicht.

In solcher Situation birgt das Außergewöhnliche, mit dem wir konfrontiert werden, die Chance, das eigene Ich zu begreifen. Ich begreife es als mein Ein-und-Alles im Sinne des Wortes und überwinde die Haltung der Beliebigkeit gegenüber meinem Ich. Es geht dabei nicht nur um die erkenntnistheoretische Einsicht in das Ich, das „alle meine Vorstellungen begleiten können“1 muß, wie Kant es in seiner Deduktion der reinen Verstandesbegriffe sagt. Es geht darum, wie ich mich in meinem Leben erlebe, ob ich das Gefühl meiner aus Freiheit kommenden Selbstverwirklichung erwerbe oder mich nur den Anpassungszwängen unterworfen verstehe. Es ist die Frage, ob das Außergewöhnliche mich anrührt, anders: ob es die dicke Haut, die ich mir zugelegt habe, um den Alltag zu bestehen, durchdringen kann, damit eine Besinnung möglich wird, in der ich mir mein Leben als Ganzes vor Augen führe.

Wenn das eintritt oder gelingt, ist der erste Schritt in das Gebiet der Metaphysik gemacht. Das bislang als selbstverständlich Hingenommene wird fragwürdig. Das Staunen beginnt. Ist nicht nur die außergewöhnliche Existenz ungewöhnlich und außergewöhnlich, sondern jede, auch meine eigene?

Wenn ich denn eine Einheit von Körper, Seele und Geist sein soll, kann ich denn überhaupt noch etwas mit den Begriffen Seele und Geist anfangen? Wie ist es möglich, daß mein Gehirn in meinem Kopf sitzt und ich ohne mein Hier-und-Jetzt-Sein zu verändern in meinem Bewußtsein weit – bis ins Unendliche – über den Ort meiner Anwesenheit hinausgehen kann?

1 I. Kant, Kritik der reinen Vernunft, B 131

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Bin ich mit allen fernliegenden Gegenständen in Raum und Zeit, die ich denke und mir vorstelle, durch elektromagnetische Wellen verbunden wie kabellose Telephone? Das ist aber wissenschaftlich nicht nachgewiesen. Was verbindet eigentlich das Denken mit dem Sein? Physikalisch geschieht es offensichtlich nicht, denn der Gedanke ist an dem Gegenstand, den ich denke, nicht meßbar oder sonst irgendwie nachweisbar. Aber irgend eine geistige Beziehung besteht doch, denn ich denke einen ganz bestimmten Gegenstand, den ich nicht
der Phantasie entnehme, während andererseits ich es bin, der die Tätigkeit des Denkens ausübt – und nicht der Gegenstand -, durch die er jetzt als Gedanke in meinem Bewußtsein ist. Irgendeine bestimmte Art von Beziehung muß es geben, denn ich denke auch Gegenstände, mit denen ich niemals in räumlichen oder zeitlichen Kontakt stand, die also meine eigene Erfahrung übersteigen. Was befähigt mich dazu? Gibt es ein geistiges Band zwischen meinem Ich und der Welt? Was wäre das: der Geist? Und was bedeutete diese Annahme für meine Sicht der Welt? Wenn ich eine geistige Kompatibilität zwischen Denken und Sein annehme, habe ich die Grenze der Physik überschritten und ich bin mitten in der Metaphysik.

Ich versichere mich dessen, daß diese Gedanken, auf die ich gekommen bin, nicht nur meiner Einbildungskraft entsprungen sind. Bereits Heraklit, 500 Jahre vor Christus, ist auf den Gedanken des Logos gekommen, das „en kai pan“, das Eine, das in allem ist. Übersetzt könnte das heißen: Die eine geistige Potenz, mein Denken, kann, wovon die Wissenschaft unentwegt Gebrauch macht, die verschiedensten Vorkommnisse in Raum und Zeit zum Gegenstand machen, ohne selbst aber dabei den Stoff oder die Form des gedachten Gegenstandes selbst anzunehmen, sondern in allen Denkakten die gleiche eigene immaterielle Qualität zu behalten. Würde sie irgendeine materielle Qualität annehmen oder besitzen, dann müßte sie ihre universelle Qualität, eben geistig in das Wesen der verschiedensten Dinge eindringen zu können, d.h. sie definieren zu können, verlieren. Wir erkennen, daß wenn die Wahrheit – wie die mittelalterliche Bestimmung sagt – die Übereinstimmung von Begriff und Sache ist, sie das größte bisher ungelöste Problem darstellt. Aber weiter: Kann man sich denn diese Beziehung von Denken und Sein nur als eine einseitige Betätigung des Denkens vorstellen? Müßte man sich die gesamte Sphäre, die Raum und Zeit bilden, nicht so vorstellen, daß sie zumindest von der Art ist, das Denken, das Gedachtwerden zuzulassen? Müßte man sich den ganzen Zusammenhang, den Raum und Zeit bilden, nicht so vorstellen, daß er insgesamt auch eine geistige Qualität besitzt und daß das menschliche Denken nur ein Teil, eine Seite davon ist? Wo sollte die menschliche Denkfähigkeit herrühren, wenn nicht aus der Natur selbst? Es sei denn, sie wäre vom Himmel gefallen, dem Menschen zugefallen.

Unversehens sind wir mitten in der traditionellen Metaphysik von Platon bis Hegel gelandet, in welcher der Geist als das eine Allgemeine galt, das die Erkennbarkeit eines jeden einzelnen Phänomens erlaubt und zugleich auch wesentlich zur Struktur der Dinge gehört, die ihre Definition ausmacht.

Wir sind mit unseren Gedanken vom Existenziellen ausgegangen und beim ganz Allgemeinen gelandet. Wobei dies nur eine der Möglichkeiten war, in die Metaphysik einzusteigen.
Die Argumentation scheint ohne Zeitbezug zur Gegenwart zu sein. Tatsächlich aber ist sie fundiert in verschiedenen Richtungen der modernen Philosophie. Nachdem Hegel noch einmal ein gigantisches traditionelles Metaphysikgebäude mit seiner Philosophie errichtet hatte, indem er die Weltgeschichte als den Prozeß der Selbstverwirklichung Gottes interpretierte und darstellte, so daß alles Endliche im Unendlichen enthalten war, trat bereits eine Generation später in der Gestalt von Kierkegaard ein religiöses Philosophieren auf, das gerade aus der Ungewißheit des Endlichen gegenüber dem Unendlichen – man könnte auch sagen: der Verlassenheit von jenem durch dieses – die notwendige und nicht zu überspringende Perspektive des Einzelnen zu neuer Würde brachte. Eine „Leidenschaft des

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Innerlichen“ entsprang für Kierkegaard daraus, dass die Position des Unendlichen vom endlichen, einzelnen Menschen nicht bezogen werden könnte, obwohl paradoxerweise im endlichen Bewußtsein das Unendliche enthalten sei.
Im Allgemeinen zu bleiben, war schon für Goethe das Merkmal eines unverbindlichen Denkens, das die Chance zur Einmaligkeit nicht ergriff und daher seine Wirklichkeit in voller Aufmerksamkeit nicht erfaßte.

Auch in Heideggers Begriff der Eigentlichkeit kommt diese Möglichkeit zum Ausdruck, die Oberflächlichkeit eines Dahinlebens zu durchbrechen, das nur in der Erfüllung von Konventionen in den alltäglichen Verrichtungen aufgeht, ohne das Menschsein in seiner Weite und Tiefe sich bewußt zu machen. Die Gewißheit des eigenen Todes im Leben kann in Sorge und der daraus entspringenden Entschlossenheit eine bewußte Lebensführung bewirken, die den Bedingungen der eigenen Existenz gemäß ist.

Das Unendliche ist an die Existenz des Endlichen gebunden – so realisiert sich Menschsein. Das Endliche wiederum kann dem nicht ausweichen, in den Koordinaten des Unendlichen sich einrichten zu müssen. So ist das Leben der Menschen prinzipiell ein Grenzfall. Dies kann durch die Grenzsituation oder durch das Außergewöhnliche bewußt werden – und dadurch zu einer Lebenseinstellung führen, die den Widernissen des Lebens trotzt.

Theodor W. Adorno hat in seiner Negativen Dialektik dieser Position im Begriff des Nichtidentischen einen kategorialen Ausdruck verliehen, wenn auch in der geradezu hoffnungslosen Einschätzung, daß dieses nur in äußerst seltenen Situationen, in den punktuellen Eingebungen von Künstlern oder Kindern auftreten könnte. Das Prinzip der Identifikation hätte die gesamte Gesellschaft bis in die inneren Strukturen der Individuen hinein erfaßt und geprägt, so daß das Nichtidentische, das Inkommensurable wie es bei ihm heißt, imgrunde nur die Chiffre für Transzendenz ist.

In der Existenzphilosophie von Karl Jaspers gewinnt das Außergewöhnliche, die Ausnahme hingegen einen Wirklichkeitsstatus, wenn auch in ambivalenter Form. Einerseits ist die Ausnahme der „faktische Durchbruch durch jede Weise des Allgemeinen.“2 Andererseits verstünde sich die Ausnahme nur im Gegensatz zum Allgemeinen. Aber die Verschränkung der Ausnahme mit dem Allgemeinen wird von Jaspers noch konsequenter gedacht. Das Allgemeine ist keine hermetisch geschlossene Sphäre gegenüber den einzelnen Ausnahmen. Im historischen Verlauf zeigt sich, daß das Einzelne, das sich aus eigener Unmittelbarkeit gegen das Allgemeine versteht, gerade in Form des Widerstands in das Allgemeine Eingang findet, sich integriert, und wenn nicht, so doch das Allgemeine verändert. Integration des Einzelnen und Veränderung des Allgemeinen stellen einen einzigen Prozeß dar. So gehört die Ausnahme selbst zum prozeßhaft verstandenen Allgemeinen. Jedes Einzelne ist existenziell gesehen eine Ausnahme.

„Die Ausnahme ist nicht nur ein seltenes Vorkommnis an der Grenze – dieses in den äußersten und erschütterndsten Gestalten, wie Sokrates – sondern das Allgegenwärtige jeder möglichen Existenz.“3 Damit ist das menschliche Individuum als der Gegensatz zum Massepunkt gedacht, als Gegenpol zu einer quantitativen Bestimmung.

Ganz eng mit dem Begriff der Existenz ist in der Philosophie von Jaspers die Freiheit verbunden. Sie erfährt sich als durch Transzendenz gegeben.
„Existenz ist das Selbstsein, das sich zu sich selbst und darin zu der Transzendenz verhält, durch die es sich geschenkt weiß, und auf die es sich gründet.“4 Das heißt: Wer durchdringt zu dem Bewußtsein seiner Existenz dringt auch durch zum Bereich der Metaphysik. Metaphysik ist das Ergebnis konsequenter Selbstbesinnung. Ich und Welt, Physik und Metaphysik gehören aufs Engste zusammen. Die Metaphysik verhält sich nicht wie das

2 Karl Jaspers, Existenzphilosophie, Berlin 1956, S. 37 3 ebenda, S. 39
4 ebenda, S. 17

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Unwirkliche zur Physik, sondern Physik und Metaphysik zusammen machen die Wirklichkeit aus.
Metaphysik ist das Fragen nach dem Ganzen, ist die Offenheit für das Fragen über alle Grenzen hinaus, ist die Überzeugung, daß alles nur im Kontext mit dem Ganzen richtig verstanden werden kann, sei dies Ganze der Kosmos, der Logos, das Sein, die Natur oder Gott. Wenn das Ganze mehr ist als die Summe seiner Teile, dann ist eine Erkenntnis der Teile ohne Reflexion auf das Ganze ohnehin nicht möglich, d.h. Analyse ohne Synthese ein verfehltes Verfahren.

Das Ich und die Welt als Ganze sind auf wundersame Weise aufeinander bezogen: In einem noch tieferen Sinn als Kant es in seiner Deduktion der reinen Verstandesbeigriffe darstellt. Dort heißt es wie bereits zitiert, „das Ich denke müsse alle meine Vorstellungen begleiten können“. Das transzendentale allen Vorstellungen zugrunde liegende Selbstbewußtsein muß ein Bleibendes sein, wenn eine durchgängige in der Erinnerung aufbewahrte und unentwegt erweiterte Biographie möglich sein soll, ja, wenn überhaupt Erkenntnis möglich sein soll, die nur als fortlaufender Lernprozeß unter der Bedingung der Erhaltung des bereits Erlernten denkbar ist.

Das Ich denke konstituiert aber nicht nur das identische Selbstbewußtsein des menschlichen, biographischen Daseins als einer kontinuierlich sich entwickelnden durchgängigen Einheit, sondern die Welt selbst. Dies ist der tiefste und unmittelbarste Bezug der menschlichen Wirklichkeit zur Metaphysik, anders: ein Beweis dafür, daß Metaphysik direkt zur Wirklichkeit des Menschen gehört. Dies besitzt – methodisch gesehen – eine nicht zu leugnende Evidenz in der inneren Erfahrung, im Erleben des Selbst, in der Gegenwärtigkeit unseres Daseins.

Ohne diese wären wir nicht. Wovon rede ich? Warum konstituiert das Ich die Welt, während es doch anderseits ein Produkt der Natur ist? Was ist Welt? Ohne es kompliziert auszudrücken oder abzuleiten: Zunächst das uns in Raum und Zeit Umgebende mit allen seinen Vorkommnissen. Raum und Zeit sind durch ihre Ausdehnung gekennzeichnet. Im Raum ist alles nebeneinander, in der Zeit alles nacheinander, jeweils bis in die Unendlichkeit. Die Welt, wie wir sie wahrnehmen, ist aber nicht nur ein Neben- und Nacheinander. Würde es nur Raum und Zeit geben, d.h. die Koordinaten der Ausdehnung, dann könnte unser Ich nur ein Glied in der Kette des Nebeneinanders und Nacheinanders sein, und als solches Glied nur Berührung haben mit den Gliedern, die sich vor oder hinter ihm befinden. Gleiches gälte für die Erkenntnis. Wir würden nur von den benachbarten Gliedern etwas wissen. Wir würden wie unser Körper situiert sein. Wir würden nur erkennen, wozu unsere Sinne Zugang verschaffen. Unser mit dem Bewußtsein verknüpftes Ich ist aber von völlig anderer Art. Es überspringt nicht nur die Raum-Zeitpunkte, es überfliegt sie nicht nur, es sammelt sie auch nicht sukzessive auf, sondern transzendiert jeden Ort der physischen Anwesenheit. Indem es nicht nur alle Kenntnisse der gegenwärtigen Situation mit denen der Erinnerung und etwaigen Zukunftsvorstellungen verbindet, sondern alle Informationen gewissermaßen aus allen ontologischen Bereichen wie Physik, Biologie, Gesellschaft, Kultur zu einem Ganzen verknüpft, einem Ganzen, das ihm schon a priori zugehört, schafft es den Zusammenhang, den wir Welt nennen. Diese Befähigung zum Ganzen, die unserem Erkenntnisvermögen zugrunde liegt, ist es, die einen Zusammenhang von allem bildet, was in Raum und Zeit geschieht und in allen Bereichen des Seins vorkommt: Schwerkraft, Licht, Leben, Kunst, Politik usw. Dieses Konzentrat nennen wir Welt. Diese Synthese wird von dem Ich geleistet. Nicht die reine Ausdehnung ohne Zusammenfügung würde die Vorstellung einer Welt ergeben, sondern nur die geistige Kraft des Zusammenfließens von allem Einzelnen zu einem zusammenhängenden ins Unendliche verlaufenden Ganzen. Mit dieser Befähigung treten die Individuen in die Kommunikation mit den anderen ein. Das Ich ist es also, das die Konzentration erzeugt, die wir Welt nennen. Das heißt: Das Ich ist als metaphysisch

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unmittelbar wirklich, denn die Weltbildung, die Synthese von allem, was es gibt, in ein Ganzes, ist kein physikalischer Vorgang. Das Geistige in seiner apriorischen Zugehörigkeit zum Ich ist ein Metaphysisches in der unmittelbaren Wirklichkeit. Die Unterscheidung von res extensa und res cogitans, die Descartes vorgenommen hat, gelangt hier zur Evidenz in einem jeden Wesen, das über Verstand,Vernunft und Bewußtsein verfügt. Im Menschen ist beides vereint: Er ist Körper und nimmt damit teil an der zeitlich und räumlich ausgedehnten Wirklichkeit; und er ist Geist in der Sphäre seiner metaphysischen Weltbildung, in welcher der Ort seiner Anwesenheit nur einer aller möglichen Gedanken seiner Aufmerksamkeit ist.

Die in der Form der Ausdehnung von Raum und Zeit uns umgebende Wirklichkeit, ist nicht das Konzentrat, das die Welt darstellt – und kann es auch nicht sein. Nur das Ich kann es sein, das diese Leistung im transzendentalen Sinne Kants zuwege bringt. Den transzendentalen Bedingungen der Möglichkeit der Erkenntnis im Subjekt noch vorgelagert ist die Verbindung des Subjekts mit der raum-zeitlichen Sphäre der Ausdehnung. Mit ihr sind wir geistig verbunden, indem das bewußte und denkende Ich die Synthese der Weltbildung vollbringt. Die Metaphysik hat damit eine neue Gestalt angenommen. Sie ist nicht mehr die Disziplin der Spekulation über ein unerschließbares Jenseits, das über das Diesseits herrscht, wofür sie in früheren Zeiten oft galt, sondern ist in der Erfahrung des lebendigen Ichs eines jeden Menschen diesseitig begründet. Das Metaphysische liegt unmittelbar im Menschen, nicht in der Transzendenz. Damit ist nicht gesagt, daß es kein Jenseits der Erkenntnis gäbe. Die Mystik kann verstanden werden als die Befähigung zur vollkommenen inneren Konzentration auf die allen Menschen zugehörige Wirklichkeit des Geistigen. Einsteins Relativitätstheorie und Heisenbergs Unschärferelation sind nur die Ausläufer einer rein physikalischen Betrachtung der Natur, die in eine Sackgasse verläuft. Das wirkliche Welträtsel liegt in der Beziehung von Physik und Metaphysik, in der Kompatibilität des zur geistigen Synthese fähigen Subjekts der Erkenntnis mit der es umgebenden Sphäre raum-zeitlicher Ausdehnung. Es kann also heute keine Rede von einem nachmetaphysischen Zeitalter sein. Zuende ist lediglich eine Epoche, in welcher die metaphysische Qualität des Menschen als Beziehung zum Jenseits gedeutet wurde. Die materialistische Aufklärung hat mit der Negation des Jenseits zugleich die Metaphysik kassiert. Die Wiederaneignung der Metaphysik als des unbedingt Menschlichen wäre die richtige Konsequenz gewesen, statt dessen ist durch die Aufklärung in ihrer verbreiteten materialistischen Variante eine wesentliche Qualität des Menschseins entfremdet worden; vernichtet werden konnte sie nicht, da sie zu sehr zum Wesen des Menschen gehört. Diese Aufklärung hat ihre Unwahrheit immer daran erleiden müssen, daß sie den Menschen zwar als ein irdisches Wesen stärker etablierte als alle Epochen zuvor, aber seine geistige Wirklichkeit ignorierte oder leugnete. Dieser Typus von Aufklärung als einer Weltanschauung, die sich mit den die Moderne beherrschenden Dimensionen von Naturwissenschaft, Technik und Ökonomie etablierte, konnte sich in der Form der Herrschaft über Natur durchsetzen, aber nicht als Verwirklichung des Wesens der Menschen. Daran ist dieser gesamte gesellschaftlich-kulturelle Zusammenhang bereits in die Krise geraten – und muß daran auch zugrunde gehen; was durch die Globalisierung nur verdeckt wird: Die gesamte Historie ist zu sehr die Verwirklichung des Wesens der Menschen, wenn auch über viele sich selbst zugefügte Katastrophen. Wenn man so will, könnte man auch sagen, das Zeitalter der Physik geht seinem Ende entgegen, das der Einheit von Physik und Metaphysik steht am Anfang, auch wenn dies heute noch überhaupt nicht so wahrgenommen wird. Die Metaphysik gerät in solch einem Verständnis nicht in die Gefahr für ein Moment des Totalitarismus gehalten zu werden, wie es noch Chirico in erschreckender, abstrakter Größe gemalt hat. Metaphysik kann verstanden werden als mein Innerstes, das mich nicht nur biologisch, sondern auch geistig mit den Natur und dem All verbindet. Ich bin verbunden und weiß mich darin zu Hause.

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Mit der Frage danach, wie ich denn zu diesem Verständnis der Metaphysik als meinem innersten geistigen Wesen kommen kann, kehre ich zum Ausgangspunkt meines Gedankengangs zurück. Die Metaphysik als theoretische Gestalt eines unerforschlichen Jenseits, worunter wir Menschen uns zu beugen hätten ist so passé wie das Verständnis der Metaphysik als Ausdruck unwissenschaftlicher, voraufklärerischer Weltdeutung, die zur Flucht aus einem unerträglichen Diesseits dienen konnte. Aber die Metaphysik als ein konstitutiver Faktor des menschlichen Daseins erschließt sich nicht automatisch. Man könnte an Platons Höhlengleichnis denken, um die Anstrengung zu beschreiben, die nötig ist, um die allein dem abstrakten nach Innen gewandten Denken zugängliche Erkenntnis des Metaphysischen zu erschließen.

Das Metaphysische wie alles Geistige ist mit unseren Sinnen nicht wahrnehmbar. In unserem alltäglichen Leben befinden wir uns immer noch auf der primitiven Stufe, nur das als wirklich anerkennen zu wollen, was wir sinnlich -. man kann auch sagen empirisch – verifizieren können. Die unserem inneren Erleben sich erschließende Erfahrung wird dann trotz unabweisbarer Evidenz nicht zur Kenntnis genommen, wie als würde ein Photoapparat nur die Bilder, die er macht, für Realität halten, nicht aber den Mechanismus, mit dem er sie macht.

Die Kopernikanische Wende Kants kann noch konsequenter vollzogen werden, als er es getan hat. Kants erkenntnisleitendes Interesse bezog sich in seinen drei berühmten Kritiken auf die Begründung der drei Disziplinen Naturwissenschaft, Ethik und Ästhetik. Die Betrachtung kann aber noch näher auf den Menschen selbst, auf seine Lebensweise, seine Lebensführung bezogen werden, auf sein Sich-selbst-Wahrnehmen und sich-selbst-Erleben. Es gibt keine Garantie dafür, daß das Außergewöhnliche eines Menschen, sein Leiden, sein Scheitern, seine Trauer, seine Einsamkeit, seine Mühen in anderen Menschen eine tiefe Besinnung auslöst. Man kann auch in einer oberflächlichen neugierigen Wahrnehmung des Abnormen hängenbleiben und weder etwas Eigenes noch Allgemeines darin erkennen. Da aber vergebliche Anstrengungen, zerronnene Hoffnungen, unüberwindbare Kränkungen, bleibende Erkrankungen, Trennungen für immer, d.h. Abweichungen von der Routine der normalen Abläufe des Lebens jeden irgendwann erreichen, liegt die tiefergehende Erkenntnis nahe, daß in dem einzelnen Außergewöhnlichen, in der Krise einer Existenz das Allgemeine der Existenz, das auch mich einschließt, durchscheint oder aufblitzt.

Wenn die Aufmerksamkeit auf den einzelnen Menschen als einem bedeutungsvollen Sein erst einmal gerichtet ist, besteht die Voraussetzung, dessen Wesen zum Thema des Nachsinnens zu machen. Nur über den einzelnen Menschen ist die Metaphysik als Wirklichkeit einsichtig zu machen. Den Sinn für das Einzelne zu wecken, dazu dient die Präsenz der Ausnahme und des Außergewöhnlichen.

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Natur erleben – Natur verstehen

Beitrag auf dem 2. Festival der Philosophie in Hannover Dr. Gerhard Stamer Eine Exkursion an die Nordsee Es mag höchst verwunderlich sein, an der Nordsee, im Wattenmeer, eine Höhlenerfahrung zu machen. Welcher Art, werde ich versuchen darzustellen. Zunächst aber die in keiner Weise verwunderlichen Umstände, die dazu führten. Ende März 2010 hatten mich Klaus Wächtler, emeritierter Professor für Biologie an der Tierärztlichen Hochschule Hannover und Hansjörg Küster, Professor für Pflanzenökologie am Institut für Geobotanik der Leibniz Universität Hannover zu einer Exkursion mit Studenten aus dem Umkreis ihrer Fächer nach Westerhever, wohl dem bekanntesten Leuchtturm an der Nordsee eingeladen. Was lag näher, als diese beiden Experten nun meinerseits zu einem Gespräch einzuladen, als ich damit betraut wurde, auf dem Festival der Philosophie im darauf folgenden April etwas zum Thema Natur beizutragen? Für mich lag nichts näher, denn ich hatte als Philosoph durch die gemeinsame Exkursion einen beträchtlichen Zugewinn in meinem Verständnis der Natur gewonnen. Davon möchte ich  berichten. Mein Gespräch mit den beiden Experten auf dem Festival drehte sich genau darum. Es war ein regnerischer, kalter …

Das Kamel, der Löwe und das Kind

Vortrag Dr. Gerhard Stamer theaterwerkstatt hannover, 12.Mai 2011 Ich werde heute keinen richtigen Vortrag halten, sondern erzählen, was mir so eingefallen ist über Kinder. Irgendwie fand ich, daß ein richtiger vortrag zu steif ist, der Sache nicht angemessen. Ich bin mir nicht sicher, was rausgekommen ist. Es sind einfach Gedankensplitter, Assoziationen, Eingebungen, auch einige Reflexionen eingestreut, auch Zitate, nicht zu viele. Auf jeden Fall keine besonderen Erkenntnisse, aber doch der Versuch, der Idee Kind nahe zu kommen. Ich umreiße es einfach, ich schraffiere es gedanklich, als würde ich eine Skizze machen. Mal sehen, ob Sie in den verschiedenen Strichen ein Bild ausmachen können. Menschen lieben Kinder, Kinder lieben Theater, kein Wunder, daß Menschen Theater lieben. Warum lieben Kinder Theater? Warum lieben Menschen Kinder? Mit diesen komplizierten Fragen möchte ich mich heute befassen. Sie sind herzlich eingeladen. Es ist ja nicht selbstverständlich, daß Menschen Theater lieben. Im Theater wird einem etwas vorgemacht. Wer hat es schon gern, wenneinem etwas vorgemacht wird? Überraschender Weise lassen wir uns das im Theater gefallen. Wir wissen es genau: Die dort …