Daß schließlich das Geld wie die Naturwissenschaft und die Technik Ausdruck eines allgemeinen Tauschwerts ist, in dem der Gebrauchswert erloschen ist zeigt, daß auch im Ökonomischen das Abstrakte, das Allgemeine herrscht.
Naturwissenschaft, Technik und Ökonomie, diese drei Dimensionen, die die moderne Gesellschaft entscheidend bestimmen, bringen also den Vorrang des Allgemeinen gegenüber dem Einzelnen mit sich. Das geschieht unbemerkt und zwangsläufig, bedarf keiner besonderen Entscheidung. Es ist daher kein Wunder, wenn in der Konsequenz diese Blickrichtung auch auf die Menschen selbst angewendet wird, wenn wir uns selbst unter diesen Gesichtspunkten betrachten, deuten und schließlich behandeln. Die einzigartigen Menschenwesen werden auf Quantitäten reduziert wie beliebige Materialien, die verwertet werden: Sie sind Kostenfaktoren im Sozialwesen, Stimmen in Wahlen und Todesfälle in Kriegen.
Solange Menschen sich in der Weise betrachten, verstehen sie weder sich selbst, geschweige denn die Metaphysik. Der Mensch, nicht als allgemeiner, sondern als einzelner muß in den Blick rücken, wenn er seine eigene Lebensform und Wirklichkeit begreifen will. Zumeist unter Zwängen und Gewohnheiten haben wir uns den allgemeinen Lebenbedingungen angepaßt. Nur in Grenzsituationen wie Trennungen, dem Tod nahestehender Menschen, dem Scheitern von Lebensplänen oder schweren Krankheiten steht das Leben als das Ganze der Existenz uns vor Augen. Wir vollziehen es dann nicht nur, sondern erschauen es als das gegebene Sein, erfahren es als persönliche Frage, welche Antwort wir – d.h. jeder einzelne – darauf geben soll. Das Leben ist nichts Vorgeformtes, daß es nur wie auf einer schiefen Ebene herunter zu rollen gilt. Wir stehen ständig in Situationen, in denen wir entscheiden müssen, wie es weitergeht.
Aber das Leben vollzieht sich nicht in Grenzsituationen. Oft öffnen uns sogar Grenzsituationen nicht die Augen. Oft lassen wir auch die Härte des Lebens nicht an uns heran, wir verhalten uns zu uns selbst wie zu einem Allgemeinen, einem Exemplar seiner Art. Man ist nur einer von einer riesigen Menge. Man begreift sich nur quantitativ, d.h. gar nicht.
In solcher Situation birgt das Außergewöhnliche, mit dem wir konfrontiert werden, die Chance, das eigene Ich zu begreifen. Ich begreife es als mein Ein-und-Alles im Sinne des Wortes und überwinde die Haltung der Beliebigkeit gegenüber meinem Ich. Es geht dabei nicht nur um die erkenntnistheoretische Einsicht in das Ich, das „alle meine Vorstellungen begleiten können“1 muß, wie Kant es in seiner Deduktion der reinen Verstandesbegriffe sagt. Es geht darum, wie ich mich in meinem Leben erlebe, ob ich das Gefühl meiner aus Freiheit kommenden Selbstverwirklichung erwerbe oder mich nur den Anpassungszwängen unterworfen verstehe. Es ist die Frage, ob das Außergewöhnliche mich anrührt, anders: ob es die dicke Haut, die ich mir zugelegt habe, um den Alltag zu bestehen, durchdringen kann, damit eine Besinnung möglich wird, in der ich mir mein Leben als Ganzes vor Augen führe.
Wenn das eintritt oder gelingt, ist der erste Schritt in das Gebiet der Metaphysik gemacht. Das bislang als selbstverständlich Hingenommene wird fragwürdig. Das Staunen beginnt. Ist nicht nur die außergewöhnliche Existenz ungewöhnlich und außergewöhnlich, sondern jede, auch meine eigene?
Wenn ich denn eine Einheit von Körper, Seele und Geist sein soll, kann ich denn überhaupt noch etwas mit den Begriffen Seele und Geist anfangen? Wie ist es möglich, daß mein Gehirn in meinem Kopf sitzt und ich ohne mein Hier-und-Jetzt-Sein zu verändern in meinem Bewußtsein weit – bis ins Unendliche – über den Ort meiner Anwesenheit hinausgehen kann?